Verkehrswert vs. Kaufpreis

Erfahren Sie, warum der Verkehrswert einer Immobilie oftmals vom tatsächlich erzielten Preis abweicht. Einblicke in die Ungleichheit des Marktes und die Herausforderungen der gutachterlichen Bewertung.

Die Ungleichheit des Marktes

Der Verkehrswert einer Immobilie wird gesetzlich im § 194 BauGB definiert und soll den Preis abbilden, der in einem bestimmten Zeitpunkt erzielt werden kann. Dabei handelt es sich um einen Marktwert – und genau hier liegt die Herausforderung.

Der Immobilienmarkt in Deutschland ist durch komplexe demografische und makroökonomische Rahmenbedingungen geprägt, was zu einer großen Ungleichheit führt. Es existiert nicht nur ein Immobilienmarkt, sondern zahlreiche regionale und klein räumliche Teilmärkte sowie sachliche Teilmärkte für verschiedene Immobilienarten. Auf diesen Märkten können sich die Preise sehr unterschiedlich entwickeln.

Selbst eine Wohnung unterscheidet sich irgendwie von einer anderen, sei es durch einen besseren Ausblick oder eine andere Größe. Eine vollkommene Gleichheit zwischen mehreren Immobilien ist daher nahezu ausgeschlossen.

Die Situation wird weiter erschwert, da tatsächlich erzielte Preise einzelner Immobilien aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen in Deutschland nicht öffentlich zugänglich sind. Ein direkter Preisvergleich gestaltet sich daher in der Regel schwierig.

Diese Intransparenz auf den Immobilienmärkten führt dazu, dass für scheinbar gleichwertige Immobilien oft völlig unterschiedliche Preise gezahlt werden. Insofern ist es nicht der Verkehrswert, der Ungenauigkeiten aufweist, sondern der Immobilienmarkt selbst.



Die Ermittlung des Verkehrswerts

Der ermittelte Verkehrswert in einem Gutachten repräsentiert eine Schätzung des am Markt für eine Immobilie erzielbaren Preises. Theoretisch basiert diese Schätzung auf tatsächlichen Kaufpreisen von Immobilien, die zeitgleich zum Stichtag der Wertermittlung auf dem Markt erzielt werden.

Die notwendigen Daten werden vom zuständigen Gutachterausschuss für Grundstückswerte geliefert. Dieser ist gesetzlich verpflichtet, sämtliche Kaufpreise in einer Stadt zu erfassen, diese auszuwerten und die Ergebnisse in Form von Durchschnittswerten in einem Grundstücksmarktbericht zu veröffentlichen.

Im besten Fall hat der Gutachter Zugang zu diesen Kaufpreisen, auf die er seine Wertermittlung stützen kann. Kleine Unterschiede zwischen anaonsten vergleichbaren Immobilien werden zunächst durch Zu- oder Abschläge angepasst. Nehmen wir zum Beispiel die Bewertung einer Eigentumswohnung: Wenn sechs Vergleichspreise von identischen Immobilien vorliegen (1) 270.000 €, (2) 280.000 €, (3) 290.000 €, (4) 300.000 €, (5) 310.000 € und (6) 320.000 €, die in einer marktüblichen Streuung liegen, wird der Verkehrswert aus dem arithmetischen Mittelwert dieser Stichprobe mit 295.000 € als wahrscheinlichster Preis abgeleitet.

Wenn dem Gutachter keine Vergleichspreise für die Bewertung vorliegen, greift er je nach Art der Immobilie auf verschiedene Wertermittlungsverfahren zurück. Für Ein- und Zweifamilienhäuser wird in der Regel das Sachwertverfahren verwendet, während für Mietwohn- und Gewerbeimmobilien üblicherweise das Ertragswertverfahren angewendet wird. Bei diesen Verfahren werden Rechenmodelle genutzt, die mit den Auswertungsergebnissen des Gutachterausschusses interagieren. Anstelle von einzelnen Preisvergleichen erfolgt der Vergleich mit einer Vielzahl von Immobilien gleicher Art, deren Standardmerkmale allerdings nur im Durchschnitt bekannt sind. Angesichts der Ungenauigkeit von Immobilienpreisen erweisen sich auch diese Wertermittlungsverfahren als ausreichend genau.

Spekulative Preise, Liebhaberpreise oder Spitzenpreise, die nur unter erheblichem Wettbewerbsdruck in überhitzten Märkten erzielt werden können, werden bei der Verkehrswertermittlung nicht berücksichtigt. Der Verkehrswert repräsentiert somit nicht den maximal erzielbaren Preis für eine Immobilie.


Wie der Preis zustande kommt

Kaufentscheidungen, insbesondere bei eigengenutzten Wohnimmobilien wie Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen, sind von komplexen psychologischen Einflüssen geprägt. Im Gegensatz zum erfahrenen Gutachter, der eine möglichst objektive Beurteilung vornimmt, legt der einzelne Käufer besonderen Wert auf subjektive Kriterien.

Auch der Zeitpunkt spielt eine bedeutende Rolle. Immobilien sind einzigartige, standortgebundene Produkte, die nicht dupliziert werden können. Jede Immobilie stellt praktisch ein Unikat dar. Die Gelegenheit, das persönliche Traumhaus zu erwerben oder in der gewünschten Lage zu kaufen, bietet sich an vielen Orten nur selten. Zeitdruck, Notlagen oder persönliche Umstände, die bei der Verkehrswertermittlung außer Acht bleiben, spielen in der Praxis jedoch immer eine gewisse Rolle.

Zudem sind Immobilienkäufe langfristige Entscheidungen und daher hoch emotionale Angelegenheiten, die nicht allein auf rationaler Ebene getroffen werden. Wenn sich ein Käufer einmal in ein Objekt „verschossen“ hat, wird er bereit sein, tief in die Tasche zu greifen, um mögliche Konkurrenten zu überbieten. Die emotionale Bindung und das persönliche Engagement für das gewünschte Objekt können dazu führen, dass der Käufer bereit ist, finanziell großzügiger zu sein, um sein Traumhaus zu sichern.

Schließlich spielen Finanzierungseffekte eine Rolle. Bei einer hohen Fremdfinanzierung werden die Auswirkungen eines höheren Kaufpreises effektiv nicht unmittelbar wahrgenommen. Oft steht daher bei einer Immobilienentscheidung nicht allein der Preis im Fokus, sondern vielmehr die Frage der Finanzierbarkeit durch die Bank. In vielen Fällen ist es für den Käufer entscheidend, dass die monatlichen Raten tragbar sind. Daher kann der Gesamtpreis eher nebensächlich sein, solange die Finanzierung gewährleistet ist.

Fazit

In einem vielfältigen Markt, auf dem für gleiche Produkte unterschiedliche Preise gezahlt werden, repräsentiert der Verkehrswert den wahrscheinlichsten Preis einer Immobilie innerhalb einer systematischen Preisspanne. Dieser wird objektiv durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ermittelt, der Zugang zu Vergleichspreisen aus der Kaufpreissammlung des örtlichen Gutachterausschusses hat.

Ganz anders kommt der Preis für eine Immobilie zustande, der von subjektiven Kriterien eines individuellen Käufers bestimmt wird. Dieser Käufer ist oft weniger gut über die aktuelle Preisentwicklung informiert, vermutlich nicht vollständig über den Wert der Immobilie im Bilde und ist in Zeiten hoher Nachfrage erheblichem Wettbewerbsdruck ausgesetzt.

Die Abweichung zwischen dem Kaufpreis und dem Verkehrswert lässt sich quantitativ erklären, da nicht immer der wahrscheinlichste Preis innerhalb einer marktüblichen Preisspanne erzielt wird. Qualitativ gesehen unterscheidet sich die subjektive Werteinschätzung des einzelnen Käufers oft von der objektiven Beurteilung des Gutachters.

Bereits im Jahr 1966 erkannte der Bundesgerichtshof in einem Urteil treffend, dass ein Verkehrswertgutachten lediglich die Prognose des am Grundstücksmarkt für das Grundstück erzielbaren Preises darstellt. Welcher Preis am Grundstücksmarkt im Falle eines Verkaufs tatsächlich erzielt wird, hängt jedoch vom Ergebnis der Verhandlungen der Parteien des Kaufvertrags ab (siehe NJW 1968: 150 - 151).

Wenn Sie mehr über Immobilienbewertung erfahren möchten, empfehlen wir unseren Beitrag über die Bedeutung der Wohnfläche. Wohnfläche: Definition und Bedeutung bei Vermietung und Verkauf

Wohnfläche: Definition und Bedeutung bei Vermietung und Verkauf
22 Dez., 2023
Erfahren Sie, welche Rolle die Wohnfläche bei Vermietung und Verkauf von Immobilien spielt. Einblick in Definitionen, Rechtsprechung und praktische Beispiele.
Stempel
05 Feb., 2023
Die öffentliche Bestellung und Vereidigung ist eine hochangesehene Qualifikation in Deutschland, die einem Gutachter auf einem spezifischen Fachgebiet verliehen wird. Um diese Auszeichnung zu erhalten, muss der Gutachter in einem anspruchsvollen Prüfungsverfahren seine weit überdurchschnittlichen Kenntnisse und persönliche Eignung nachweisen.
Share by: